Anmerkungen zum Schreiben in der Mundart

"I konn koane Verserl mehr hörn!" hat vor einiger Zeit einer meiner Journalistenkollegen, der sich berufshalber viel mit Mundartliteratur befasst, ziemlich bissig zu mir gesagt. Daraus entstand zwischen uns beiden ein Streitgespräch, wobei sich am Ende herausstellte, daß wir mit unserer Meinung gar nicht so weit auseinander waren und es halt immer darauf ankommt, an welchem Zipfel man eine Sache anpackt. Mein Kollege jedenfalls hatte sich mit seinem "Stoßseufzer" keineswegs gegen die Mundartliteratur aussprechen wollen, sondern nur gegen die "Mundartmode" und deren Auswüchse. Die Qualität habe, so behauptet er, leider mit der Quantität nicht Schritt gehalten und überdies sei vielfach die Mundartschreibung derart zur Mundart-Anarchie entgleist, daß man viele Texte und Reime nur noch höchst mühsam zusammenbuchstabieren könne.

Aus einem ehemals ziemlich schmalen Rinnsal ist in den letzten Jahren die bayerische Mundartliteratur allmählich zu einem breiten Strom geworden, so breit, daß es einem manchmal so vorkommt, als führe er Hochwasser. Natürlich ist eine solche Mundart-Renaissance eine begrüßenswerte Entwicklung. Aber man darf deshalb nicht gleich alle literarischen Qualitätsmaßstäbe preisgeben. Nicht jeder, der in Mundart etwas niederschreibt, ist deshalb schon ein Dichter! Eine Wald- und Wiesenreimerei ist ebnsowenig Dichtung, wie das Hochstilisieren von Allgemeinplätzen zur Gesellschaftskritik. Oft bleibt von solchen angeblich zeitkritischen Texten bei genauerer Untersuchung nicht viel mehr übrig, als eine modisch verbrämte Banalität. Und das ist dann genauso unzulänglich, wie die vielen, zwar gut gemeinten, aber weder originellen noch formal befriedigenden "traditionellen" Gelegenheitsreimereien.

Wir wissen gerade von den bedeutendsten deutschen Dichtern der Vergangenheit, daß sie oft monatelang an einem Gedicht gefeilt haben, bis es ihrem Urteil standhielt. Eine solche dauernde Selbstprüfung ist unbedingt erforderlich, denn so entscheidend auch die schöpferische Augenblickseingebung ist, sie führt doch ohne Sprachzucht und ohne beständiges Suchen nach dem bestmöglichen Ausdruck nicht zum Ziel. Jede gute Dichtung braucht – neben der rein "handwerklichen Beherrschung des Sprachlichen – Imagination und Expression, also innere Erlebnis- und Eindrucksfähigkeit einerseits und überdurchschnittliches Ausdrucksvermögen andererseits.

Vielleicht führte früher die Mundartdichtung auch deshalb etwas ein Schattendasein, weil man vielfach glaubte, sie könne nur der heiteren, ziemlich anspruchslosen Unterhaltung dienen. Dazu aber ist der letzte literarische Schliff nicht unbedingt erforderlich, denn solche Verse und Geschichten interessieren nicht wegen der sprachlichen Formung, sondern wegen ihres Inhalts und der Pointe. Die Meinung, man könne in der Mundart nur derart seichte Unterhaltung bieten, ist jedoch schon längst widerlegt. Es gibt kein Thema, das man in der Mundart nicht genau so gut und treffend behandeln könnte, wie in dem oft hölzernen "Dudendeutsch".

Unabhängig von solchen Qualitätsfragen, ist in den letzten Jahren ein anderes Thema sehr lebhaft und konträr diskutiert worden, nämlich die Frage, wie viel Mundart "braucht" die Mundartdichtung? Das klingt zwar etwas seltsam, doch es steckt ein sehr schwieriges Problem dahinter, nämlich das der Mundartschreibung. Dem Beispiel des sogenannten "Wiener Kreises" um H. C. Artmannn folgend, haben sich nämlich auch in Bayern immer mehr und vor allem junge Schriftsteller der vermeintlich konsequenten und lautgetreuen Mundartschreibung zugewandt. Eine solche aber, die alle Lautnuancen zu erfassen vermag, gibt es nicht, wenn man von der wissenschaftlichen Lautschrift absieht. Und diese will doch ganz gewiß niemand in die Literatur einführen!

Es ist weder möglich noch sinnvoll, sich in der Mundartdichtung auf bestimmte Schreibweisen allgemein festzulegen. Dabei kann nie etwas anderes herauskommen, als ein unbefriedigender Kompromiß. Allein schon die Altbayerische Mundart umfasst so viele Unterarten und regionale, ja sogar örtliche Sprechweisen, daß dafür kein gemeinsamer Schreib-Nenner gefunden werden kann. Weil das so ist, sollte man dem einzelnen Mundartschreiber keine starren Vorschriften aufzwängen. Weil aber andererseits dieser doch will, daß er gelesen und verstanden wird, sollte er auf alle Exrtravaganzen verzichten und seine Schreibweise so eng als nur möglich an das Schriftdeutsche anlehnen. Um diese Forderung wenigstens ganz kurz zu erläutern, sei folgendes festgehalten: Wohl jeder Mundartschreiber spricht sich seinen Text vor dem Schreiben selbst vor und horcht darauf, wie es klingt. Und wenn dann ein Wort der Mundart sich als vom Schriftdeutschen nicht sehr verschieden erweist, so sollte er weitgehend die schriftdeutsche Fassung wählen. Oder anders herum gesagt: Wenn ein Wort beim Lesen fast von selbst den Mundartklang annimmt, dann braucht man es doch nicht extra anders oder sogar ganz anders schreiben! Hier nur vier Beispieledafür: Wirtshaus – Wiatshaus, Stubn – Stum, Tiergartn – Tiagatn, gsagt – xsagt.

Jede Mundartschreibung nach eigenem Gutdünken, muß aber auf jeden Fall dort ihre Grenzen haben, wo sie den Wortsinn zu verfälschen beginnt! "Unterhaltung" zum Beispiel kann man ohne großen Klangverlust auch in der Mundart so schreiben, wenn nicht, dann höchstens – je nach örtlichem Dialeket – Unterhaitung oder Unterhoitung, aber niemals, wie wiederholt schon geschehen, "Untahäutung", denn dieses Wort kommt ja nicht von der Haut-Mehrzahl Häute, sondern von Halt/Haltung. Als zwei weitere Beispiele unter sehr vielen möglichen anderen seien hier nur noch Leben (Lem oder Leem, aber ja nicht Lehm) und Halbkreis (höchstens Hoibkreis, aber auf keinen Fall Häubkreis, denn das Wort kommt von halb und nicht von Habe/Häubchen) genannt. Der Wortstamm und die "Wortabkunft" müssen auf jeden Fall in der Mundartschreibung stets klar erkennbar bleiben! Eine der Schriftsprache angenäherte Schreibweise sollte man immer auch dann wählen, wenn ein Wort sonst mißverständlich wird. Zum Beispiel kann man "wegn" nicht durch "weng" ersetzen, da es ja sonst "wenig" bedeutet.

Wollte man alle "Sünden" die in der zeitgenössischen Mundartdichtung wider die Mundart begangen werden, kritisch durchleuchten, so müsste man ein ziemlich dickes Buch schreiben. Und darin wäre dann von der komischen Angewohnheit, statt "und" nur das &-Zeichen zu setzen ebenso die Rede, wie von der allerschlimmsten Unart, der "Rückkreuzung" schriftsprachlicher Ausdrücke in die Mundart. Im Altbayerischen gibt es zum Beispiel kein Kleid sondern nur ein Gewand, weshalb man auch nur "Gwand" schreiben kann und nicht – wie geschehen – "Kload".

Mundart ist nun einmal keine Schriftart und deshalb wird niemand für die Mundartschreibung ein Patentrezept finden. Was ich aber auf jeden Fall für notwendig halte, das ist die Forderung: Ein bißchen denken beim Schreiben! das reicht vom Nachdenken über das Wesen und die Gesetze der Mundart bis zum "Darandenken" an den künftigen Leser, nämlich, der das entziffern und verstehen soll, was man oft zu rasch und unbedacht einfach so dahinschreibt.

 

Weitere Betrachtungen
zum Thema bairische Schriftsprache
von Prof. Ludwig Zehentner

Alois J. Weichslgartner