Noch ist Bairisch nicht verloren

Jahrzehntelang war die Bairische Sprache verachtet und wurde den Kindern konsequent ausgetrieben. Jetzt erleben wir eine Kehrtwendung; Prof. Dr. Ludwig Zehetner beleuchtet die Situation in dem nachstehenden Bericht.

Dr. Ludwig ZehentnerJahrzehntelang wurde der Dialekt verachtet, galt als „heruntergekommene, verderbte“ Form der Sprache. Auf allen Stufen der Erziehung war mundartlicher Klang und Wortschatz verpönt und sollte den Kindern ausgetrieben werden. Eifrig hat man darüber diskutiert, inwiefern die Dialekte als eine „Sprachbarriere“ zu verstehen seien, wodurch deren Sprecher von schulischem, beruflichem und wirtschaftlichem Erfolg ausgeschlossen würden und weshalb es geraten sei, die Mundarten zu unterdrücken, um sie möglichst rasch verschwinden zu lassen. Jetzt erleben wir eine erstaunliche Kehrtwendung. Im Jahr 2005 veröffentlichten namhafte Zeitungen Beiträge unter folgenden Überschriften: „Bairisch, gut auch fürs Hirn“ – „Dialekt macht schlau“ – „Dialekt schafft Lernvorsprung“ – „Mehr Sprachkompetenz bei Mundartlern“. Und der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider verkündete: „Die Mundart ist kein Manko, sie ist eine Bereicherung“.

Diese Behauptungen sind allerdings nur richtig unter der Voraussetzung, dass sowohl Dialekt als auch Standardsprache verfügbar sind. Nach Erkenntnissen der Hirnforschung führt das ständige Hin- und Herschalten zwischen den zwei Sprachebenen (code switching) zur Aktivierung bestimmter Synapsen und fördert die Intelligenz. Um den Kindern die Chance einer „inneren Mehrsprachigkeit“ zu bieten, sollten Eltern und Erzieher den Dialekt mit Selbstverständlichkeit gebrauchen, damit auch in Zukunft beide Sprachebenen verfügbar bleiben. Es ist sogar anzuraten, die vom Standard deutlich abweichenden Varianten zu pflegen, also mit gesundem Selbstbewusstsein festzuhalten an den überlieferten typisch bairischen Lautungen, Formen und Ausdrücken, von denen in diesem Beitrag eine Auswahl vorgestellt wird. Zum Wohle der Kinder  – und nicht um irgendwelcher nostalgischen Heimattümelei willen – lohnt es sich, den Dialekt zu bewahren und um dessen besondere Qualitäten zu wissen.

Noch ist Bairisch nicht verloren“ lautet eine Zeitungsüberschrift von 2006. Wie sehr gerade in Bayern die breite Öffentlichkeit an den Mundarten interessiert ist – auch wenn deren aktiver Gebrauch im Alltag deutlich zurückgeht – zeigte der im Herbst 2004 veranstaltete Wettbewerb „Mein liebstes bayerisches Wort“, zu dem mehr als 10.000 Meldungen eingingen. Zu denken geben allerdings viele der beigegebenen Erläuterungen. Vielfach „übersetzen“ die Einsender die ihnen vertrauten Ausdrücke gnadenlos ins Norddeutsche  – in der irrigen Meinung, dieses sei das „bessere“ Deutsch. Da finden sich Wortgleichungen wie die folgenden: Reiberdatschi, Dotsch = „Reibekuchen“, Radltragen, Radltruchen, Rawérn = „(die) Schubkarre“, Rotzlöffel, Rotzbippen = „frecher Junge, freche Göre“, Scherzl = „Kanten“, Loawedoag = „Brötchenteig“, dantschig = „knuddelig, putzig“, pfundig = „toll“, Ratschkathl = „Quasselstrippe“, Britschn, Britschhaferl, Verklaghaferl = „Petze“, Pfiat di = „Tschüß“ und dergleichen mehr. In beschämender Weise zeigen solche Angaben, wie wenig sprachliches Selbstbewusstsein die Bayern besitzen, wenn sie einheimische Bezeichnungen selbstverständlich solchen aus dem „anderen Deutsch“ unterordnen. Verräterisch sind auch Angaben wie diese: „Droad, ein auf dem Land noch gebräuchlicher anderer Ausdruck für Getreide.“ So etwas beweist mangelndes Sprachverständnis, d. h. man erkennt nicht, dass bairisch Droad nichts anderes ist als die lautgesetzliche Entsprechung für die schriftdeutsche Form Getreide.

Hier soll es darum gehen, einen festen Standpunkt zu sichern gegenüber unserer heimatlichen Mund-art, die wir schätzen und lieben. Was man liebt, das muss man auch kennen. Darum will ich anhand einer Auswahl von Merkmalen die Eigenständigkeit des Bairischen aufzeigen, in Lautung, Formenlehre und Wortschatz, um den Appell zu fundieren, dieses Kulturgut als unverzichtbaren Wert unserer Heimat zu pflegen und zu schützen.

„Bairisch, gut auch fürs Hirn“ –  „Dialekt macht schlau“ – „Dialekt schafft Lernvorsprung“ – „Mehr Sprachkompetenz bei Mund-artlern.“ Bereits in der Einleitung wurde darauf eingegangen, dass dies nur gilt, wenn man sowohl Dialekt als auch Standardsprache beherrscht (code switching). Wenn wir unseren heimischen Dialekt nicht selbstbewusst und selbstverständlich gebrauchen und ihn nicht unseren Kindern und Enkeln vermitteln, dann berauben wir sie um eine Chance. Je nach Gesprächspartner, Situation und Thema kann entschieden werden, ob Dialekt oder Standardsprache angemessen ist, ob man Kàs, dràhn, lààr, schwàr, Schàr, Hàring, zruck / retour, hupfa, Bruck sagt – oder Käse, drehen, leer, schwer, Schere, Hering, zurück, hüpfen, Brücke, ob bi stàd, i woaßs ned (woißs niat), mid ara grẽane Foa, a ganz a scheens Blẽame, a guads Flàschl Wẽi, biesln, soacha (soicha), schiffen, brunzen angemessen ist – oder sei still, ich weiß es nicht, mit grüner Farbe, eine
sehr schöne Blume, eine gute Flasche Wein, austreten
. In korrektem Bairisch heißt es zwar der Butter, das Teller, der Radio, und der Name der bayerischen Landeshauptstadt lautet Minga – schriftsprachlich hingegen die Butter, der Teller, das Radio und München. Freilich verstehen wir auch Ausdrücke wie kucken, pinkeln, außen vor, ab und an, Schnee schippen, die Treppe hoch, lecker, kross – aber wir verwenden sie nicht, weder mündlich noch schriftlich! Das südliche Deutsch hat dafür andere Wörter bereit.

Die Chance und Freiheit der „inneren Mehrsprachigkeit“ wollen wir uns bewahren und an die jüngere Generation weitergeben. Dann gilt der oben zitierte Satz des Kultusministers: „Die Mundart ist kein Manko, sie ist eine Bereicherung.“

Auszüge aus einem Vortrag von
Dr. Ludwig Zehetner
Honorarprofessor für Dialektologie des
Bairischen an der Universität Regensburg


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Noch ist Bairisch nicht verloren