Regionale Unterschiede verleihen dem Deutschen große Ausdruckskraft. Umso verwunderlicher ist es, dass süddeutsche Varietäten immer stärker zurückweichen Die deutsche Sprache klingt in jeder Region ein bisserl anders. Diese Variabilität verleiht dem Deutschen eine große Ausdruckskraft. Umso verwunderlicher ist es, dass die süddeutschen Varietäten immer stärker zurückweichen. Flächendeckend hat der norddeutsche Sprachduktus die Oberhand gewonnen, er wird heute als das einzig richtige Hochdeutsch betrachtet. Selbst der Bayerische Wald ist vom „Nordsprech-Virus“ infiziert.

Schon schreiben die dortigen Blätter, wie aufregend der erste Schultag für die i-Dötzchen gewesen sei. Das ist aber ein Begriff aus dem Rheinland. Auch in Wirtshäusern, Metzgerläden und Bäckereien ist der Sprachwandel unüberhörbar: Die Semmeln, die Krautwickerl, die Haxn und der Rahm weichen den Milchbrötchen, den Kohlrouladen, dem Eisbein und der Sahne. Landfrauen laden zu Vorträgen über die „tolle Knolle“ ein, Schulkinder und ihre Eltern jubeln über Einsen und Zweien im Zeugnis statt über Einser und Zweier, wie es seit jeher üblich war. „Die südhochdeutsche Sprache leidet an Auszehrung", sagt der Linguist Ludwig Zehetner. Gründe gibt es viele: An bayerischen Schulen werden südhochdeutsche Wörter wie Bub als umgangssprachlich rot angestrichen, der Duden deklariert in Süddeutschland gängige Wörter wie Topfen, Glückshafen und Ochs einfach als österreichisch, obwohl es eine österreichische Sprache gar nicht gibt. Irritiert von dieser Entwicklung, haben Niklas Hilber und Rudi Mörtl vom Förderverein Bairische Sprache nun eine Initiative zur Stärkung des Südhochdeutschen gestartet, die sich an Politiker, Lehrer und Eltern wendet. Den Sprachwandel werden sie damit nicht aufhalten, aber sie wollen zumindest ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die in Süddeutschland gepflegte Ausprägung des Deutschen kein Kuriosum ist, wie TV-Satiriker dem Volk hartnäckig weismachen wollen. Es ist ein einwandfreies Deutsch mit farbigem Wortschatz und kluger Grammatik. Als ein Reporter über den Fußballer Effenberg einst schrieb, er habe im Strafraum gestanden, weckte das beim Leser die Assoziation „seine Liebe zur Frau Strunz“. Mit der verpönten südhochdeutschen Variante „er ist gestanden“ wäre so ein Missverständnis erst gar nicht aufgekommen.

Hans Kratzer, SZ 13. November 2015